Träumen für Gehirn und Seele

Träumen für Gehirn und Seele

Nicht nur für das Gedächtnis und die kognitive Leistungsfähigkeit ist Traumschlaf wichtig, sondern auch für die psychische Stabilität. „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin‘, sagte Rainer Werner Fassbinder und starb im Alter von nur 37 Jahren. Die schlaffeindliche Einstellung ist in der Bevölkerung noch immer weitverbreitet.

Dabei ist heute bewiesen, dass zu wenig Schlaf nicht nur krank macht, sondern auch die Leistungsfähigkeit stark herabsetzt. „Eine besondere Bedeutung kommt dem Traumschlaf zu‘, erklärte Prof. Göran Hajak von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universität Regensburg auf dem diesjährigen Lundbeck Dialog ZNS. „Wir träumen hauptsächlich im REM-Schlaf, der im Verlauf einer Nacht periodisch etwa alle 90 Minuten auftritt und mit dem Non-REM-Schlaf abwechselt.‘ Nach der modernen Traumforschung resultiert das periodische Alternieren von Non-REM- und REM-Schlaf aus dem Wechselspiel aminerger und cholinerger Neuronenpopulationen, die ähnlich eines Gegentakt-Oszillators miteinander interagieren. Insgesamt verbringt der Mensch 20 bis 25 Prozent des Nachtschlafes in der REM-Phase, weitere 20 bis 25 Prozent im Tiefschlaf und die restliche Zeit in einem leichten Schlaf. Werden Probanden im Schlaflabor während des REM-Schlafes gezielt geweckt, berichten 95 Prozent über ihre Träume, während bei Weckungen aus dem Non-REM-Schlaf heraus nur zehn Prozent ihre Träume schildern. Charakterisiert sind die REM-Schlaf-Episoden durch schnelle Augenbewegungen, eine vollständige Aufhebung des Muskeltonus, ein desynchronisiertes EEG und eine autonome Dysregulation. Der REM-Schlaf spielt eine wichtige Rolle in der Konsolidierung von Lernvorgängen. So hängen möglicherweise hohe REM-Anteile während des Nachtschlafs bei Kindern und Jugendlichen mit der hohen Lernintensität in dieser Altersklasse zusammen. Säuglinge verbringen sogar mehr als die Hälfte der Nacht in der REM-Schlafphase. Tierexperimentelle Untersuchungen deuten darauf hin, dass während der nächtlichen Aktivität des Gehirns das tagsüber Erlernte im Neocortex abgespeichert wird. So zeigte sich bei Ratten im nächtlichen REM-Schlaf eine ähnliche neuronale Aktivität im Hippocampus wie tagsüber, während die Tiere in einem Labyrinth nach einer Futterstelle suchten – „so als wiederholten die Ratten im Schlaf ihre Tagesaktivitäten‘, erläuterte Hajak. Diese Beobachtungen stützen die Hypothese, dass besonders lebenswichtige Informationen während des REM-Schlafes in einem Arbeitsspeicher erneut bewertet und mit früheren Erinnerungen abgeglichen werden. Neu Erlerntes im Schlaf verfestigen Auch komplexes, auf Problemlösung basierendes Lernen erfordert nach den Worten von Hajak einen gesunden Schlaf. Neu Erlerntes lässt sich nur dann langzeitig abspeichern, wenn es sich im Schlaf verfestigt. In einer eindrucksvollen Studie von Wagner et al., die 2004 in Nature veröffentlicht wurde, hatten Probanden die Aufgabe, Zahlenreihen nach einem logischen Prinzip zu vervollständigen. Die Krux bestand jedoch darin, dass nach der Hälfte jeder Zahlenreihe die bisherigen Ergebnisse spiegelbildlich in die verbliebenen Antwortfelder eintragen werden mussten. Einige Versuchsteilnehmer erkannten die versteckte Regel sofort, den meisten kam die Lösung allerdings erst, nachdem sie eine Nacht darüber geschlafen hatten. Trauminhalte immer an Emotionen gekoppelt PET-Studien zeigen, dass während des REM-Schlafes nicht nur der Thalamus, sondern auch Amygdala und parietales Operculum aktiv sind. Deaktiviert sind dagegen der dorsolaterale präfrontale Cortex, die parietalen Cortices und der hintere Gyrus cinguli. Dabei entscheidend ist der Kontrast zwischen einer Deaktivierung der mit kognitiver Kontrolle assoziierten exekutiven Teile des frontalen Cortex und einer deutlichen Aktivierung cerebraler Strukturen, die an der Regulation von Gefühlen beteiligt sind. „Trauminhalte sind immer an Emotionen gekoppelt‘, sagte Hajak. So verwundert es nicht, dass Texterinnerungen aus Träumen im REM-Schlaf stark emotional besetzt sind und konkrete Gefühle und Befindlichkeiten widerspiegeln. Die Schwächung der kognitiven Kontrolle bewirkt, dass im Traum einzelne Affekte ausgetauscht und neue Muster spielerisch erprobt werden können. Nächtliche Aggressionen bei REM-Schlafstörungen Der REM-Schlaf kann auf unterschiedliche Weise gestört sein: Einige wenige Menschen, vornehmlich Männer über 50 Jahre, leiden an einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung. Die normale muskuläre REM-Atonie tritt bei diesen Patienten nicht ein. „Durch das Ausbleiben der Muskellähmung sind komplexe motorische Aktivitäten möglich, die mit den Traumaktivitäten korrespondieren‘, so Hajak. Das Ausagieren der hauptsächlich aggressiven Trauminhalte kann allerdings zur Eigen- und Fremdgefährdung führen. Eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung tritt vermehrt bei Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Parkinson oder Alzheimer- Demenz auf. Als mögliche Ursachen werden Läsionen von Hypothalamus, Thalamus und Hirnstamm sowie pharmakologische Intoxikationen diskutiert. Eine REM-Schlafhemmung ist ebenfalls bei Narkolepsie Patienten und Menschen mit depressiven Störungen zu beobachten. „Nächtliche Wachvorgänge im Traumschlaf führen zu einer gestörten beziehungsweise verminderten Fähigkeit in der Aufarbeitung belastender Tagesereignisse‘, erklärte Hajak. Bei der Therapie der Insomnie sollte daher der hohe Stellenwert des REM-Schlafes für die Psyche berücksichtigt werden. Schlafmittel, die wie Benzodiazepine den REM-Schlaf unterdrücken, können die kognitive Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. „Moderne Präparate, wie etwa retardiertes Melatonin, erhalten dagegen die physiologische Schlafarchitektur und haben keinen Einfluss auf REM-Schlaf und Kognition‘, resümierte Hajak. Andrea Hertlein aus: Ärztliche Praxis Neurologie Psychiatrie 1_2009.